Totgeglaubte leben länger

Wenn man aus heutiger Sicht so drüber nachdenkt, ist es schon etwas schräg – aus einem Hobby und einer Laune heraus hatte ich mir so um das Jahr 2000 herum eine Domain bei einem bekannten Massen-Hoster registriert – zunächst noch ohne konkreten Plan, was ich damit machen wollte. Einen gewissen Spaßfaktor sollte die Namenswahl haben – und passend zur TLD bietet die deutsche Sprache ja eine Vielzahl von Wörtern, die auf die Silbe „de“ enden. Mit etwas Würfeln fiel die Wahl auf „sonnenblen.de“ – wie gesagt, mehr zufällig und ohne konkreten Plan.

Das sollte sich recht schnell ändern – zum einen bot der damals verfügbare Webspace einige technische Möglichkeiten, die mir auf vorangegangenen Plattformen gefehlt hatten (wir sprechen immerhin von vor fast 20 Jahren!), so dass ich natürlich zunächst mit Perl/CGI und später mit PHP ‚rumspielen musste, und zum anderen hatte ich mich in meiner Amiga-Zeit recht fleißig in der einen oder anderen Mailbox herumgetrieben (auch wenn das jetzt vmtl. keinem mehr was sagt, sogar vorübergehend als „Co-SysOp“ einer Z-Netz Mailbox mit dem schönen Namen „Triton“). Auch die eine oder andere Kollision mit dem Usenet (News) hatte ich schon gehabt. Was lag also näher, als die moderne Variante davon auszuprobieren – ein Forum.

Nach dem Thema musste ich nicht lange suchen – auf verschlungenen Wegen war ich nach Amiga und PC (nur vorübergehend verfenstert, danach natürlich mit Linux) zu einer für damalige Verhältnisse ziemlich coolen Sun Workstation gekommen – und obwohl Sun ja eigentlich für „Stanford University Network“ stand, übersetzt man das ganz gern auch als „Sonne“ – und der Bezug zur „sonnenblen.de“ war da – ein Forum rund um Sun Workstations im Einsatz zuhause. Für Profis gab’s das eine oder andere beim Hersteller bzw. bei entsprechenden Drittanbietern – ich war Hobbyist (auch wenn ich die Dinger auch beruflich nutzte) und wollte mich mit solchen austauschen.

Das ging besser als gedacht. Und wenn man – wie ich – auf dem „IT-Werdegang“ noch mit anderen UNIX-Derivaten und den dazugehörigen Hardwareplattformen in Berührung gekommen ist, keimt auch im Hobby der Wunsch auf, über den selbstgedrehten Tellerrand zu schauen und den Hardwarezoo zu erweitern.

Nun waren die 90er grad „durch“, und das war die Zeit, in der CGI / am Computer generierte Filmeffekte ihre erste große Blütezeit hatten – maßgeblich natürlich vorangetrieben von Silicon Graphics, Inc. (SGI). Anfang der 2000er hatten – ähnlich wie bei Sun – die ersten tollen Workstations dieser Firma ihre Hochzeit hinter sich und waren auf dem Gebrauchtmarkt halbwegs erschwinglich. Schon Jahre zuvor hatte ich quasi sabbernd über einem Heise-Artikel zur Iris Indigo von SGI gehangen – als ich dann mit einem Hardware-Aufkäufer in Kontakt kam, der tatsächlich ein paar Indigo2-Workstations auf dem Laster hatte, konnte ich nicht widerstehen. Zunächst musste die blassgrüne Indigo2 her, kurz darauf die purpurfarbene Indigo2 Impact10000 – für damalige Verhältnisse immer noch ein echter „Hobel“, auch gewichtsmäßig.

Die Maschine war da, ein wenig Software war auch aufgetrieben – und wieder der Wunsch, sich mit Gleichgesinnten darüber zu unterhalten. Ein passendes Forum gab’s nicht, oder die damaligen Suchmaschinen waren noch zu schmalbrüstig, eins auszuwerfen. Wie auch immer. Und da mich ja ursprünglich die erste „Indigo“ angefressen hatte und ich zweitens ein alter Jazz-Hörer war (und inzwischen auch ein alter Jazzer bin – aber das ist eine andere Geschichte), drängte sich als Domain-Name „mood-indigo.org“ geradezu auf. Gesagt, getan, registriert, Forum drauf, los ging’s.

Das ging eine Weile gut – aber die Workstations wollten nicht alleine bleiben, es kam noch anderes potenziell UNIX-taugliches Getier daher. Für alles ein eigenes Forum wäre weder zu managen noch irgendwie abendfüllend gewesen. Also – im Vorgriff auf das neudeutsche Motto „for the rest of us“ – sollte ein letztes, drittes Forum her – und hier sollte der Name Programm sein. Alles, was mit einem „richtigen Betriebssystem“ und „richtigen Rechnern“ zu tun hatte, gehörte hier hinein. Ich hatte zwar schon die Idee (basierend auf dem Motto „Get a Real Computer!„) zu dieser Seite (noch bevor „Bloggen“ ein Thema war), aber „unixforum.net“ klang irgendwie passend, war frei und schwups – meins.

Die nächsten Jahre waren ziemlich unterhaltsam – viele neue Leute fanden den Weg in die Foren, auf der „Sonnenseite“ gab es sogar Wettbewerbe mit Hardware-Preisen und schwunghaften Handel mit gebrauchten Maschinen und Ersatzteilen aller Orten.

Mit der Zeit verschoben sich die Prioritäten – mit der Familienplanung wurde der Platz für den Hardwarezoo und die Zeit für das Hobby weniger, und 2004 kippte die Geschichte insoweit, als ich für die tägliche Computerarbeit zuhause „irgendwas mit Obst“ brauchte bzw. haben wollte. Die Foren liefen weiter, zur besten Zeit spielte eine dicke Sun Ultra60 mit einigem an extern angeflanschtem SCSI-Equipment den „Home-Server“, und alles war gut.

Dann wurde es ruhiger, und zugleich setzte eine ganz nervige Pestilenz ein – der Foren-Spam. Horden von Bots kamen aus fernöstlichen Gefilden und registrierten sinnfreie Benutzerkonten um linküberfrachteten Müll in alle Boards zu posten. Mehrfach mussten die Foren für Neuregistrierungen gesperrt werden, Gegenmaßnahmen in Form von Captchas und Sicherheitsfragen wurden schneller ausgehebelt als man neue einbauen konnte. Die Foren liefen längst auf dedizierten Webservern, aber auch deren Absicherung, die Einführung von Bannlisten und die fleißige Hilfe vieler Co-Moderatoren konnte das Problem nicht eindämmen.

Als schließlich Mitte 2018 ein Server-Crash dazu führte, dass die Foren auf eine neue Maschine migrieren mussten und mit der dort installierten PHP-Version nicht mehr klar kamen, schien schon fast das Ende eingeläutet zu sein. Aber nicht mit Onkel Jerry (achso, das bin ja ich 🙂 ) – nach einigen, z.T. in Handarbeit eingepflegten – Updates der Forensoftware waren diese nicht nur unter PHP 7 wieder komplett lauffähig, es stellte sich heraus, dass es auch endlich ein Erweiterungsmodul gab, das den Spammern Paroli bieten konnte. Und dank LetsEncrypt kann der ganze Spaß jetzt sogar noch SSL-verschlüsselt laufen.

Und so kam es, dass zu einem Zeitpunkt, da viele die Foren vmtl. längst vergessen und abgeschrieben hatten, eine Rundmail an alle registrierten Benutzer herausging – ein Lebenszeichen. Ich bin gespannt, wieviele den Nostalgie-Trip teilen und wiederkommen werden…